An manchen Tage überlege ich, wer eigentlich diese seltsame Person ist, die mich jeden Tag mit müden grünen Augen aus dem Spiegel entgegenblickt. Ich bin Marsha, 35 Jahre alt. Mutter zweiter Jungs, Ehefrau, Bloggerin und Social Media Tante in Teilzeit. Ich bin die mit dem vollgepackten Alltag, die ihre Aufgaben den Tag abarbeitet, trotzdem viel zu spät ins Bett geht und seit zwei Jahren keine Nacht durchschlafen konnte.

Für Freundeschaftspflege bleibt da leider sehr wenig Raum. Und sowieso ist der riesige Freundeskreis von damals – aus einer fernen Zeit – auf eine kleine Basis geschrumpft. Und doch sind so viele virtuelle Freunde hinzugekommen: obwohl ich es wie die Pest hasse zu telefonieren, gibt es wieder Menschen, mit denen ich das sehr gerne tue. Aber was wirklich wichtig ist, sind meine Liebsten – meine Familie.

Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich mich gerade in den letzten Jahren sehr verändert habe. Und dazu muss ich nochmal weit ausholen. Wisst ihr, als ich noch klein war, war ich offen, frech und hatte eine verdammt große Klappe. Frei und ehrlich sprudelte es aus mir heraus. Immer. Meine Eltern unterstützen das. Und doch eckte ich an den Regeln der Gesellschaft an.

Ich muss immer an die Geschichte denken, die mir meine Mutter so oft erzählt. Wir waren im Urlaub, es hatte etwas geregnet und wir spazierten am Ostseestrand, an dem ich so gerne Muscheln sammelte und die an Land gespülten Quallen bestaunte. Sandig, mit vom Wind zerzausten Haaren und den schmutzigsten Gummistiefeln ever, landeten wir im Restaurant eines sehr noblen Hotels. Zum Kuchen essen. Und weil ich so war wie ich war, wollte ich mich natürlich all den unbekannten Hotelgästen vorstellen. Leuten, die alle piekfein da saßen und auf ihr Mittagessen warteten.

Also ging ich von Tisch zu Tisch: „Hallo, ich bin die Marsha. Und wer bist du?“, „Hallo ich bin die Marsha. Und du siehst aus wie eine Hexe.“ „Hallo ich bin Marsha. Wollt ihr mit mir spielen?“. Natürlich bekam ich keine Antworten. Und die zwei Kinder – in Anzug und Tüllkleidchen wohlbemerkt – wollten oder durften schon gar nicht mit mir – dem Störenfried – spielen. Als Einzelkind ist man da nicht so picky – man spielt mit dem was da ist. Nur leider kann man ja nicht von sich auf andere schließen. Ich verstand die Unfreundlichkeit nicht.

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Dieses freche, vorlaute kleine Mädchen eckte immer wieder an, vor allem bei Erwachsenen. Weil sie oft Dinge aussprach, die keiner zu sagen wagte. Ich fand aber trotzdem immer schnell Freunde, selbst wenn wir nicht die gleiche Sprache sprachen. Eine wahre beste Freundin hatte ich jedoch nie, auch wenn ich mit vielen Freundinnen aus den ersten Jahren immer noch Kontakt habe.

Dann kam die Pubertät. Und all das Selbstbewusstsein war auf einmal wie weggeblasen. Puuufff. Ich versteckte mich mit meiner Zahnspange hinter weiten Jungsklamotten. War ich hässlich oder redeten mir das die anderen ein? Einen richtigen Freundeskreis hatte ich lange Zeit auch nicht. Mein Witz, mein Glanz war versteckt hinter einer soliden grau-beigen Fassade. Bloß nicht auffallen. In der Oberstufe nannte man mich das Mauerblümchen. Gehöre ich dazu oder nicht? Kann ich so sein wie ich bin? Oder ecke ich wieder an?

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Es hat mich viele Jahre gekostet, bis ich die richtige Balance zwischen auffallen und nicht auffallen gefunden habe. Von einer Fassade in die andere. Ich wurde von vielen Menschen verletzt. Und habe selbst seelische Wunden zugefügt. Meine Ausbildungszeit ist ein einziges Desaster an menschlichen Zwischenbeziehungen.

Und dann war da meine Zeit als Stundentin in der Hochschule. Und zum ersten Mal fühlte ich, dass ich so sein kann wie ich bin. Das da Gleichgesinnte sind, mit denen ich auf einer Wellenlänge schwimme. Die auch mal einen knackigen Spruch abkönnen, Sarkasmus verstehen und Ehrlichkeit schätzen. Hier traf ich den Mann, der noch immer an meiner Seite ist. Mit dem ich zusammen einen riesen Freundeskreis hatte. Der mit mir durch die tiefsten Tiefen ging. Und mit dem ich die schönsten Momente meines Lebens teile.

Wir heirateten und bekamen Kinder. Der Freundeskreis veränderte sich. Wuchs erst, schrumpfte dann. Und der Fokus richtete sich mehr auf die Familie. Was tut uns gut? Was macht uns Spaß? Wir sind uns selbst genug und doch ist da manchmal die Sehnsucht nach Abenteuer da.

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Ich blicke auf meine vielen Lebensstationen zurück und denke: Wow, das habe ich geschafft. Ich habe in den letzten Jahren zu mir selbst gefunden. Genauso zielstrebig wie das kleine Mädchen von früher, kann ich wieder auf Leute zugehen. Ich schere mich nicht mehr um Gelästere und verbanne die Menschen aus meinem Leben, die mir nicht gut tun. Ich versuche Freundschaften zu bewahren und zu helfen, wo es geht. Ich bin jemand auf den man zählen kann, ohne selbst dafür viel zu verlangen. Ich bin die, die ohne zu überlegen redet, der man Witze zweimal erzählen muss und die manchmal echt auf dem Schlauch steht.

Wie würde ich mich heute vorstellen? „Hallo, ich bin Marsha. 35 Jahre alt, Mutter zweier Jungs, Ehefrau eines liebevollen Mannes. Ich bin Bloggerin und arbeite als Social Media Managerin. Und ich liebe das was ich tue. Ich brauche die Abwechslung und den Trubel, auch wenn er mich unendlich müde macht. Ja, manchmal fühle ich mich einsam und ich hätte gerne viel mehr Zeit für meine Freunde. Aber ich habe meine Familie. Und das ist im Moment mein größtes Glück.“

Inspiriert durch die tollen Texte meiner Blogger-Freundinnen Feier Sun – Zwischen Suchen und Finden und Glucke und So – Mein Weg ist noch nicht zu ende