Martinsfeuer

Früher als ich noch keine Mama eines Kindergartenkinds war, hatte ich eine eher romantisch-herbstliche Vorstellung von Laternenumzügen. Singend ziehen die Kinder durch nächtliche Straßen. Ihre Laternen leuchten in allen Farben. Am Ende des Umzugs wartet ein wärmendes Lagerfeuer, an dem fröhlich gesungen wird. Und an dem alle ihre ofenwarme Weckmännchen essen können. Leider ist das nicht ganz so.

Es regnet. Der Iromann und ich laufen mit HerrSjardinski an der Hand und MisterWin im Wagen los. Um 17 Uhr wollen wir uns alle am Pfarrhaus treffen, denn die Kirche wird gerade renoviert. Gut, denke ich, müssen sich nicht alle in die kleine Kirche quetschen. Leider ist der Gemeindesaal noch viel kleiner. Und schon proppe voll. Einige Eltern mit Kinderwägen warten bereits draußen. Ebenso ein Papa mit einem schreienden kleinen Bruder. Wir gesellen uns zu der kleinen Gruppe. Es regnet wieder etwas doller und ich habe JETZT schon keine Lust mehr. Obwohl HerrSjardinski seine Freunde begrüßt und MisterWin schön schläft. Wenigstens das läuft. Ich packe die Laterne vom feinen Herrn in eine durchsichtige Plastiktüte und ernte verständnislose Blicke vom Iromann.

Es kommen immer mehr Eltern. Ich weise den Iromann mit diebischer Freude darauf hin, dass die Hälfte davon ihre Laternen in Tüten gehüllt hat. Der Papa mit dem kleinen Bruder ist mittlerweile ein Stück die Straße runtergegangen. Es schreit jetzt aus der Ferne.

Die ersten Eltern kommen genervt aus dem vollen Gemeindehaus. Meine Freundin gesellt sich mit ihren Kindern zu uns. Ihr zweiter Leuchtstab hat bereits versagt. Ich zücke mit triumphierenden Blick Richtung Iromann meinen Ersatzleuchstab. Der frotzelt, Kerzen hätten es auch getan, dann bräuchten wir auch keine China-Scheiß-Leuchtstäbe. Wir diskutieren über den Sicherheitsaspekt und kommen zu dem Schluss, dass eine per Handkurbel betriebene Laterne am ökologischsten und sichersten gewesen wäre.

Endlich geht es los. Wir gehen über die Straße und quetschen uns an dem Baugerüst der Kirche vorbei. Mit Kinderwagen total toll. Es regnet immer noch. Keiner singt. Film Noir-Atmosphäre. Die meisten Eltern sind mit fluchen oder Kinder kommandieren beschäftigt. Wir laufen (bis auf Fluchgeräusche) schweigend über den unbeleuchteten Friedhof! Ich verhindere, dass HerrSjardinski ein Grabgesteck mitgehen lässt. Dann sind wir beim Pferd samt Martinsreiter und warten auf den Rest der Umzugsgesellschaft. Der Iromann frotzelt, dass es aus Sicherheitsgründen kein echtes Pferd hätte sein müssen. Ein mechanisches hätte es auch getan. Am Ende sind wir uns einig, dass es ein imaginäres Steckenpferd wie in „Ritter der Kokusnuss“ perfekt wäre.

Es geht weiter. Immer noch ohne Singen laufen wir wieder über die Straße. HerrSjardinski will auf´s Buggyboard. Ich hab Durst. Wir stimmen ein Laternen-Lied an, aber nach einer Strophe weiß keiner mehr weiter. Wir wiederholen die Strophe ein paar Male. Am Ende singt HerrSjardinki allein das Martinslied – ganz leise. Endlich sind wir an der Feuerwehr. Auf der Wiese daneben brennt das Martinsfeuer. Der Iromann stellt sich erstmal am Würstchenstand an, bevor es da zu voll wird. Ich setze mich mit den Kindern zu Freunden auf eine Bierbank.

Gut gelaunt und wieder gestärkt geht´s jetzt endlich zum Feuer. Viele Eltern und Kinder stehen drum herum und wärmen sich. Aber gesungen wird auch hier nicht. MisterWin fängt an zu schreien. Hunger! HerrSjardinski schlägt vor, ich solle mich auf die Bank setzen und MisterWin seine Milch geben. Aber ich habe wenig Lust, auf dem dunklen Spielplatz neben der Feuerwehr meine Brust in der Kälte rauszuholen. Stattdessen hab ich plötzlich ein dringendes Verlangen nach Glühwein! MisterWin lässt sich nicht beruhigen. Also treten wir zu viert den Heimweg an – im Schnellschritt. Ohne Glühwein.

Es regnet und die Nacht ist dunkel. Unsere kleine, in Plastik gehüllte Laterne leuchtet und MisterWin stimmt den ganzen Weg sein Hungerlied an.

Übrigens: Während ich das hier geschrieben habe, hat unser Kater das Weckmännchen angefressen.

***ÄNDERUNG: Aus persönlichen Gründen habe ich einen Absatz des Beitrages verkürzt, da es scheinbar einen zu großen Wiedererkennungseffekt beteiligter Personen gab.***