Wir sind mit dem Laufrad unterwegs und kommen an eine Kreuzung, an der oft Autos ohne anzuhalten abbiegen. Wohlbemerkt im Neubaugebiet. Die Straßen haben keine Gehwege, wir müssen also auf der Fahrbahn laufen. HerrSjardinski fährt schnell – für meinen Geschmack etwas zu schnell. Ich kann mit dem Kinderwagen kaum Schritt halten. Jetzt ist er kurz vor dieser Kreuzung. Ich rufe hinter ihm her: „An der Kreuzung Stop. Sto-ho-pp. Stopp!!!“

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn plötzlich die Zeit still zu stehen scheint und vor eurem Auge ein innerer Film abfährt? Ein Film, der nicht so gut aus geht  – ein Auto kommt angerast, bremst, das Kind fällt vom Rad, überschlägt sich. Dieser Film fährt grade ab. Herzklopfen. Kloß im Hals. Wird es gut gehen?

HerrSjardinski hört, fährt an die Seiten und hält. Dreht sich um. Lacht. Es kommt kein Auto. Gut gemacht. Doch was, wenn der „Film“ Wirklichkeit wird? Wenn doch mal etwas passiert? Etwas ganz ganz Schlimmes? Schlimmer als nur ein aufgeschürftes Knie? Mein Kind richtig verletzt wird? Oft verfolgen mich solche Ängste, wie unheilschwangere Vorboten. Blitzartig. Die sich aber doch nie erfüllen. Zum Glück.

Machmal sind es nur „Gedankenblitze“. HerrSjardinki der Nachmittags vom Kindergarten von der Oma abgeholt werden soll. Werde ich ihn wiedersehen? Die Oma könnte ja einen Unfall haben? Oder im Auto auf der Autobahn. Ist er fest genug angeschnallt? Was wenn der da vorne bremst und der Drängler hinter mir in mich reinfährt? Auf dem Spielplatz am Klettergerüst. Packt er das schon alleine so hoch zu klettern? Was ist, wenn etwas passiert und ICH es nicht verhindern kann?

Ich bin bestimmt niemand der übervorsichtig ist oder „helikopert“. Ich lasse viel alleine machen. Schon immer, seit dem ersten Schritt. Los lassen. Ausprobieren lassen. Auch wenn das Kind fällt. Ich bin auf dem Spielplatz die Mama, die mit dem Kaffee in der Hand ein Schwätzchen hält. Doch manchmal zweifle ich an mir. Bin ich zu lax, zu unvorsichtig? Bin ich verantwortungslos, wenn ich den feinen Herrn nicht immer im Blick habe? Oder ihn ein Stück vor mir mit dem Laufrad fahren lasse? Man hört sie oft, diese schlimmen Geschichten. Kinder, die vom Familienauto überfahren werden, weil sie in der Garagenauffahrt standen. Die an einem Stück Apfel ersticken. Die mit den Großeltern verunglücken. Die sich beim Radunfall die Zunge abbeißen. Es sind Geschichten aus den Medien oder von jemandem der jemanden kennt. Doch was ist, wenn…Kloß. Herzklopfen.

Dann denke ich an meine eigene Kindheit. Wie ich mir vier Jahren schon alleine „um die vier Ecken“ gegangen bin (also einmal um den Block ohne eine Straßenseite zu wechseln). Wie ich im Grundschulalter alleine mit meinen Freundinnen und den Rädern im Feld herumgedüst bin, wie ich am Bach gespielt habe, auf dem Heuboden rumtobte oder in einem alten Planwagen Kartoffeln geröstet habe. Hatten da meine Eltern auch diese „Vorboten der Angst“? Oder wussten sie, dass sie mir Vertrauen können? Dass ich auf mich aufpassen kann? Mit keinem Fremden mitgehe und keine waghalsigen Dinge tue? War das nicht das tollste an der Kindheit – dieses frei spielen zu können? Wie Pipi Langstrumpf. Also ganz ohne die mahnende Stimme der Eltern im Ohr.

HerrSjardinski ist vier und ich werde ihn nicht überall hin begleiten können. Er wird bald auch „um die vier Ecken“ gehen wollen. Hier im Neubaugebiet mit den vielen Spielstraßen. Und den Kreuzungen, an denen manche Autofahrer nicht halten. Mit den Straßen ohne Gehwegen und den Rasern, die Mülltonnen umfahren. Ich kann ihn nur darauf vorbereiten wachsam zu sein. Die Regeln einzuhalten. Seine eigenen Grenzen zu kennen. Und dann ist da ja auch noch sein Bruder – MisterWin. Noch jemand, der „Filme“ vor meinem inneren Auge produzieren wird. So ist das wohl, wenn man Mutter ist. Man muss immer mehr los lassen – und die Angst um´s Kind in Kauf nehmen.

Wie ist das bei euch? Habt ihr auch manchmal schreckliche „Filme“, die vor eurem inneren Auge ablaufen?