Die typische Sandkastenstreit unter Kleindkindern ist bestimmt jedem Elternteil bekannt. Kind1 nimmt Kind2 zwei die Schippe weg, Kind2 fängt an zu weinen und versucht Kind1 das begehrte Spielobjekt mit Einsatz seiner Körperkraft wieder zu entwenden. Schließlich heulen beide und sind wahrscheinlich auch noch voller Sand. Die Eltern greifen ein.
Unter Kleinkindern herrschen raue Sitten – da wird gehauen, gekniffen, mit Sand geworfen oder auch Mal gebissen. Hab und Gut wird verteidigt. Oder Kind will einfach das haben, was andere haben. Jetzt und sofort. Aber Teilen will gelernt sein. Und auch Konflikte auszutragen ohne übergriffig zu werden. Ich weiß noch wie ich mir in dieser Kleinkind-Phase mit einem HerrnSjardinski unter zwei Jahren den Mund schier fusslig redete, permanent eingriff und vermittelte: „Man darf nicht hauen“, „Nimm es doch nicht einfach weg! Frage, ob du die Schaufel ausleihen darfst“, „Sag, dass du das nicht möchtest“, „Das tut weh, was du da machst“, „Du möchtest auch nicht gehauen werden“.
Irgendwann versuchte ich mich zurückzuhalten, zu beobachten und den Kindern die Chance zu geben, ihren Konflikt alleine zu regeln. Das hat nichts damit zu tun, Gewalt zu billigen. Vielmehr damit, dass Kinder sich auch gegenseitig regulieren und körperliche Grenzen erfahren. Das Hauen WIRKLICH weh tut und nicht schön ist. Streiten ist eine Alltagsituation, die immer wieder vorkommt (ein Leben lang) und die ich meinem Kind nicht abnehmen kann und will. Konflikte müssen früher oder später alleine gelöst werden. Und zwar mit der nötigen Portion Selbstbewusstsein. Ich versuche daher nur noch in Konflikte einzugreifen wenn
- Eines der Kinder erheblich jünger und schwächer ist.
- Harte oder spitze Gegenstände in den Konflikt einbezogen werden.
- Eins der Kinder sich weh getan hat.
Wenn beide Kinder sich nicht selbst einigen können, werden früher oder später die Eltern bzw. Aufsichtspersonen einbezogen. Das passiert ganz von alleine. „Der gibt mir das nicht wieder!“ oder „Der hat mich gehauen“. Einige nennen es petzen – ich sehe es eher als „Hilfe suchen bei einem Mediator“. Und als den verstehe ich mich in dem Fall auch. Da habe ich dann auch zufällig das ein oder andere NICHT gesehen – denn ein Richter will ich nicht sein. Ich möchte nicht urteilen, wer angefangen hat. Ich versuche in dem Fall eher Lösungen anzubieten „Wechselt euch ab“, „Das ist die Schippe von Kind1, wenn er/sie die gerade nicht teilen will, musst du das hinnehmen. Frag später noch einmal.“, „Sag, dass du dein Spielzeug wieder haben willst und nicht ausleihen möchtest.“ Meist klappt die klare Ansage von Kind1 an Kind2. Und es kann normal weitergespielt werden.
Letztens beobachtete ich HerrnSjardinski, wie er mit sich einem anderne Jungen richtig schlug. Es wurde gehauen, geschubst und getreten. Ich war schon kurz davor, aufzuspringen und einzugreifen als ich an konzentrierten Gesichertern sah: das ist kein Erst – die haben sowas wie … Spaß. Und ich beobachtete weiter. Es sah „gefährlich aus“, aber das waren keine harten Tritte. Eher eine Art „Kampfperformance“. Gerangel! Mein Sohn hat Spaß an Gerangel. Spielerische Gewalt – etwas ganz was Neues. Als beide Jungs fertig waren hakte ich nach: „Habt ihr euch gestritten oder war das Quatsch?“. Und HerrSjardinski sagte freudestrahlen: „Das war Quatsch, Mama“. Da wurde mir klar, woher die Löcher in der Wolljacke drei Tage vorher kamen. Gerangel! Klett auf Wolle = Loch.
Hätte das Loch in der Jacke im schlimmsten Fall auch eine Verletzung sein können? Sollte man bei wildem Gerangel eingreifen? Quasi die Gewalt unterbinden? Ich bin zwar kein Pädagoge, aber ich denke nicht. Denn hier geht es um körperliche Erfahrung, Kräfte messen und – speziell bei Jungs – um Rangordnungen festlegen. Raufen ist etwas ganz Archaisches, aber es gehört zur sozialen Entwicklung dazu, wie im Spiegel-Interview mit Kinderpsychologe Wolfgang Bergamann verdeutlicht wird. Oder auch in diesem Text.
Vor allem Jungs wollen ihre Kräfte erproben, sich spielerisch mit und an einem anderen messen. Sie wollen – und müssen – Erfahrungen im Umgang mit (körperlicher) Nähe und Distanz beziehungsweise mit eigenen und fremden Grenzen sammeln. Es handelt sich dabei um eine Form „selbstinitiierter Entwicklungsför-derung“, die sich in einem wechselvollen Geschehen von körperlichem und seelischem „Berührt-Werden“ abspielt. (Wolfgang Beudels)
Soll HerrSjardinski sich raufen, solange aus der spielerischen Gewalt keine ernste Schlägerei mit Verletzen wird. Ich halte nichts von permantem Unterbinden. Solange aus Spiel kein Erst wird. Ich habe HerrnSjardinski zu Hause noch auf den Weg gegeben, dass er beim raufen niemandem ersthaft weh tun soll. Dass wenn der andere sagt, dass es genug ist, er aufhören soll. Genauso wie er selbst sagen soll, wenn es ihm zu doll wird. Und nun hoffe ich, dass es bei kaputten Klamotten bleiben wird.
Wann greift ihr bei Gewanlt unter Kindern ein?