Nur noch wenige Wochen und der feine Herr hat sein erstes Schuljahr gewuppt. Es ging so irre schnell vorbei. Aber was mich in diesem Jahr – neben dem Punkt Selbstorganisation in der Grundschule – immer wieder beschäftigt hat, war das Thema Schulweg. Denn eigentlich möchten wir, dass der feine Herr den Schulweg alleine bewältigt und dadurch wertvolle Erfahrungen in Sachen Selbständigkeit und Verantwortung machen kann. Aber genau das fällt unendlich schwer. Auf sehr sehr viele Arten.
Wir wohnen im Nachbarort der Grundschule und sind auf den Schulbus angewiesen. Morgens setzen wir den feinen Herrn an der Haltestelle ab, da diese auf dem Weg zum Kindergarten liegt. Nur an einem Tag läuft der feine Herr alleine, wenn sein Unterricht zur ersten Stunde beginnt. An seinen drei Betreuuungstagen wird er nach der Schule von mir im Hort abgeholt, an den zwei anderen Tagen fährt er alleine Bus und läuft dann heim. Ihr seht – so viel Schulweg alleine ist da gar nicht, vor allem wenn man noch den „Busdienst“ beachtet.
Busdienst – Eltern, die auf Kinder starren
Im Prinzip fand ich den durch Eltern der ersten Klassen organisierten Busdienst anfangs eine gute Sache. Gerade in den ersten Wochen war es für viele Kinder – auch meines – mega aufregend, alleine in diese unbekannte Schule fahren zu müssen. Also hat immer ein Elternteil – nach einem ausgeklügelten Plan versteht sich – jeweils zur ersten und zweiten Schulstunde abwechselnd an der Haltestelle das Einsteigen geregelt und die Kids an die Ranzen erinnert. Das da aber nicht nur der Busdienst-Beauftragte steht, sondern auch noch mindestens zwei andere Eltern, hat sich im Laufe der Wochen nie verändert. Immer 1-4 Erwachsene die aufpassen und teilweise sogar monatelang mit im Bus fuhren – puh.
Der Iro-Mann und ich haben uns dann aus dem freiwilligen Dienst zurück gezogen, da wir der Meinung sind, dass es nach 6 Monaten auch mal fein mit der Busbegleitung sei. Und sind auf eine Woge des Unverständnisses geprallt. Die Gefahren an der Haltestelle und der Einsatz als Ersthelfer im Falle eines Unfalls waren nur ein Argument. Ein größeres Argument war ein verspäteter oder ausgefallener Schulbus.
Da das statistisch gesehen nur einmal im Schuljahr vorkommt, bin ich der Meinung, die Kinder könnten sich dann selbst organisieren und am Kindergarten, keine 30 Meter von der Haltestelle, um ein Telefonat bitten. Aber tja, das kann man anscheinend keinem Kind zutrauen und man steht lieber Tag für Tag an der Haltestelle. Ich kann die Ängste zwar verstehen – denn ich habe sie auch. Aber ich wünsche mir einfach für meine Kinder eine Kindheit, wie ich sie hatte. Und dazu zählen eben auch elternfreie Erfahrungen. Und vielleicht sogar ein kleines Abenteuer, wenn der Bus eben mal nicht kommt. Wisst ihr was ich meine?
Wo sind die Abenteuer der Kindheit
Wir lesen immer von den glücklichen Kindern in Büchern, die Geheimnisse aufdecken, alleine durch die Gegend streifen und allerlei Quatsch aushecken. Die auch mal in brenzlige Situationen kommen und mit Cleverness da wieder rauskommen. Und wir lachen mit diesen Kindern und bewundern ihren Mut. Und finden das insgeheim unheimlich cool. Aber dann stellen wir uns jeden morgen mit an die Haltestelle, damit wir auch genau wissen, dass der Bus pünktlich ist und unsere Kinder da einsteigen. Und am besten holen wir die kleinen Schätze direkt vor Schultor wieder ab, um sie zum Flötenunterricht zu gurken und danach zur Spieleverabredung.
Die echten Abenteuer finden nie statt, denn wir Eltern sind überall dabei, regeln jedes Hindernis und quäken aus dem Off unsere Meinung zu. „Sei Pippi und nicht Anika“, heißt es doch so schön. Aber die Anika von damals hatte mehr Freiheiten als unsere Kinder heute, denn wir Eltern bremsen jede Selbständigkeit aus. Ich habe das Gefühl, es gibt heute nicht mal mehr richtige Anikas. Das. Ist. So. Traurig.
Laura von Heute ist Musik hat das auch ganz treffend in dem Artikel GPS-Ortung auf dem Schulweg beschrieben.
Wir möchten unsere Kinder mit Frühförderungskursen, Nachhilfestunden und einem schnellen Abitur fit für die Zukunft machen. Aber das wichtigste vergessen wir: Fit für die Zukunft sind Menschen, die Verantwortung tragen können, vor allem für sich selber. Und das beginnt beim Schulweg! – Laura, Heute ist Musik
Ich kann die anderen Eltern nicht von der Haltestelle weg beamen. Denn sie haben schließlich ein Recht darauf, ihre Angst ums Kind zu mildern, indem sie da stehen und gucken. Aber ich wünschte, man würde auch die andere Seite akzeptieren und das nicht als „faul“ oder „uninteressiert“ abstempeln, nur weil man eben versucht, seine Angst anders in den Griff zu bekommen. Mit Vertrauen ins eigene Kind. Auch wenn das echt nicht einfach ist.
Wenn das Kind nicht heim kommt
Ich gebe zu, nach der Schule an den „Heimgeh-Tagen“ warte auch ich immer um 13 Uhr mit flatterdem Magen auf das Klingeln der Haustür. Ich warte darauf, dass der feine Herr die Treppe hochstürmt und seine Tasche samt Jacke neben der Garderobe fallen lässt. Und je mehr Verspätung es gibt, desto unruhiger werde ich. Dann schleiche ich zum Fenster und schaue die Straße rauf. Und jedes Mal fällt mir ein Stein vom Herzen, wenn er da draußen ist und lässig die Straße runter läuft. Ja, leider ist es ein ziemliches scheiß Gefühl, wenn das Kind dann wirklich nicht kommt, obwohl die gewünschten Blauber-Pfannkuchen pünktlich auf dem Esstisch stehen.
Denn das ist wirklich schon passiert. Ich habe mir in Sekundenbruchteilen die schlimmsten Szenarien ausgemalt: Das Kind beim Überqueren der Straße verunglückt. Oder vielleicht am Ende einfach mit einem Freund mitgegangen? Oder einem Fremden? Nein, nein, nein. Ich wählte mit zitternden Fingern die Nummer meines Mannes, der in der Nähe der Schule zu Mittag aß: er ging sofort schauen. Nach ein paar Minuten die Erleichterung: Der Herr spielte auf dem Schulhof Fußball, nachdem er in der Mensa gegessen hatte. Er hat es einfach verpeilt, in den Schulbus zu steigen und nach Hause zu gehen. Stattdessen hat er sich wie an den Betreuungstagen verhalten. Uff.
Eine Woche später – dank Feiertag – wieder das gleiche. Wieder stand der Blaubeer-Pfannkuchen auf dem Tisch und wieder sank mein Herz 10 Minuten nach 13 Uhr in die Hose. Aber diesmal kam ein Anruf – es war dem feinen Herrn nach dem Mittagessen eingefallen und er sagte einem Betreuer Bescheid. Damit das nicht nochmal passiert, haben wir eine Übergangslösung gefunden und die Bustage im Hausaufgabenheft markiert.
Mit dem neuen Stundenplan im nächsten Schuljahr wird sich sowieso einiges ändern. Außerdem möchte ich, dass der Herr auch an den Betreuungstagen alleine mit dem Bus heim fährt, um Verwirrungen zu vermeiden. Und so ein Wohnungsschlüssel macht auf der anderen Seite groß und stolz.
Ja, es ist kein schönes Gefühl, wenn man sein Kind ohne Eingangsbestätigung in die Schule schickt. Oder man mittags wartet und kein Kind kommt. Ich hätte dieses Gefühl nicht haben müssen, würde ich mein Schulkind immer hinfahren und abholen. Aber ich weiß nun, dass es meist eine plausible Erklärung gibt. Und dass ich meinem Kind vertrauen kann. Das ist ab und an ein scheiß Gefühl einfach wert.
Also habt Vertrauen in euer Kind, übt den Schulweg zusammen und lasst Stück für Stück los. Ihr schafft das, denn euer Kind schafft das auch.
Liebe Marsha, oh wie schön! Ich freue mich so, in diesem tollen Artikel erwähnt zu werden. Liebste Grüße von Laura