Mein Opa ist am 8. April im Alter von 96 Jahren gestorben. Noch am Ostermontag waren wir alle bei ihm. Irgendwie wusste ich, dass es ein Abschied sein wird. Einer für immer. Er lag auf der Couch, ganz ausgezehrt, und sagte mit Tränen in den Augen, dass er endlich sterben mag. Was sagt man darauf? „Opa, ich habe dich so lieb. Ich hoffe für dich, dass es dir ganz schnell besser geht – oder dass du deinen Frieden findest“. Wir weinten beide ein bisschen. Und verabschiedeten uns. Zwei Tage später fand mein Opa ihn – den Frieden. Es war fast so, als ob er auf diesen „Segen“ gewartet hätte. Als ob er uns – seine Enkelin und Urenkel – noch einmal sehen wollte. Ja, vielleicht ist das so, wenn man so alt ist und weiß, dass das Leben sich dem Ende zuneigt.

Foto: www.gratisography.com

Gestern begleiteten wir den (Ur)Opa auf seinem letzten Weg. Ich fragte HerrnSjardinski schon vorher, ob er mit zur Beerdigung gehen möchte. Tschüss sagen. Und dass dort jemand etwas über den Uropa erzählt, dass man da aber auch leise sein muss. Er wollte, was ich total gut fand. Für den feinen Herrn ist das „gestorben sein“ noch abstrakt, auch wenn wir schon zahlreiche Mäuse und Vögel (die Katzen waren am Werk) begraben mussten. Und so eine „richtige“ Beerdigung könnte für ihn der „missing Link“ sein, um das ganze zu verstehen.

„Mama, ist die Uroma jetzt ganz alleine?“
„Ja, Schatz.“
„Dann müssen wir die öfter besuchen.“

Der Iromann nahm Urlaub und wir fuhren allesamt nach Darmstadt. Die Trauerfeier mit Pfarrerin war sehr kurz gehalten. Es wurde nur erzählt, was der Uropa gemacht hat in seinem Leben. Wo er wohnte, wohin er in Urlaub fuhr, wo er arbeitete. Es kam leider gar nicht raus, was für ein Mensch er war. Unauffällig schneuzte ich in die Kapuze der Babyjacke (Tempos vergessen), während MisterWin mit den Trauergästen hinter uns flirtete. HerrSjardinski war ruhig und hörte zu. Dann öffnete sich eine große Tür zum Friedhofsgarten, die Sonne strahlte herein und wir begleiteten die Uropa-Urne zu seinem letzten Ruheplatz.

„Mama, lässt der Mann jetzt frische Luft rein?“
„Nein, wir gehen da jetzt raus und bringen die Asche vom Uropa ins Grab.“

Am Urnengrab gab es noch ein Gebet. Da ich nicht gläubig bin, blieb ich still – wie HerrSjardinski, der ja den Text des „Vater unser“ nicht kennt. Zusammen mit dem Iromann ging er an die Urne und flüsterte ein „Tschüss“ und ich hatte wieder Tränen in den Augen. Auf der einen Seite, weil ich so stolz auf meinen Sohn war,  der das so toll machte. Auf der anderen Seite, weil ich dachte: „Das war´s. Ein 96-jähriges Leben in 30 Minuten beerdigt.“

„Wo ist der Uropa jetzt?“
„Das weiß keiner so genau. Vielleicht spielt er im Himmel Karten?“
„Aber die Frau vorhin wusste das.“
„Die tut nur so, als ob sie das weiß. Niemand weiß so genau, was nach dem Tod ist.“
„Vielleicht feiert der Uropa ja eine Party im Himmel.“
„Das wäre bestimmt schön.“

Das wurde nicht auf der Trauerfeier gesagt:

Lieber Opa,

du warst bestimmt nicht der beste Vater. Aber du warst ein toller Opa.

Du hast mich als Kartoffelsack durch die ganze Wohnung getragen. Du, der Fuchs, hast mich, das Eichhörnchen, bis in seine Höhle gejagt. Auch als du Rückenschmerzen und einen Bandscheibenvorfall hattest, bist du mit mir auf allen Vieren rumgekrabbelt. Du hast mir „Schwarzer Peter“, Skat, Schach und Tischtennis spielen beigebracht. Du bist mit mir einmal die Woche ins Schwimmnbad und auf Spielplätze gegangen. Und wir haben immer sehr gelacht, wenn wir Gäste aus dem „Fake-Schnapsglas“ trinken ließen. Dank dir hatte ich eine tolle Zeit, wenn ich bei dir und Oma nach der Schule war.

Du warst immer gut gelaunt und für einen Spaß zu haben. Du hast das Leben genossen, wenn es sich anbot. Zu leckerem Steak und einem Glas Wein hast du nie Nein gesagt. Vielleicht weil du im Krieg auch die anderen Seite gesehen hast? Einmal hast du mir erzählt, dass du in Gefangenschaft drei Monate im Freien schlafen musstest. Das war bestimmt sehr hart. Gerne hätte ich noch mehr über diese Zeit von dir erfahren, aber du hast geschwiegen.

Als dein zweiter Sohn, mein Onkel – der für mich wie ein großer Bruder war – mit nur 21 Jahren bei einem Motorradunfall starb, warst du lange traurig. Vielleicht hast du deshalb die Zeit mit mir mit so viel Spielen genutzt? Vielleicht wolltest du auch etwas gut machen, weil du nur sehr wenig Zeit mit deinen Söhnen verbracht hast? Egal warum – dank dir hatte ich eine tolle Kindheit.

Opa, ich werde dich sehr vermissen. Und ich hoffe, dass du jetzt mit deinem kleinen Sohn zusammen bist. Und mit all deinen Freunden im Himmel Skat spielen kannst.

Deine Marsha