Gebt den Kindern die Verantwortung zurück - Ein Lehrer über Selbstvertrauen, Eigenständigkeit und Aufgaben, die Kinder selbst lösen sollten

Ohne erwachsene Begleitung zur Grundschule gehen. Alleine Bus fahren. Unbeaufsichtigt draußen spielen oder sogar durch das Wohngebiet stromern. Das Abendessen alleine kochen lassen. Das alles sind kleine aber wichtige Schritte auf dem Weg zu einem verantwortungsbewussten mündigen Erwachsenen. Doch solche Freiheiten, wie wir sie vielleicht aus unserer eigenen Kindheit kennen, werden immer seltener. Ich kenne nur wenige Kinder im Grundschulalter, die auch mal selbst Probleme lösen müssen. Davon will ich meinen Schuljungen gar nicht ausschließen.

Wir Eltern sehen überall Gefahren lauern und räumen unseren Kindern kleine und große Hürden aus dem Weg. Und obendrauf lässt auch die Schule wenig Luft für Kreativität – der Lehrplan ist rappelvoll gepackt. Und am Nachmittag wartet die Ganztagsbetreuung oder ein buntes Programm in Vereinen oder Kursen. Puh. Für Grenzerfahrungen und das „Über-sich-hinaus-Wachsen“ bleibt da wenig Spielraum.

Der Lehrer Felix Natterman beschreibt in Gebt den Kindern die Verantwortung zurück, warum es so wichtig ist, Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen. Damit am Ende junge Erwachsene ganz ohne Mami und Papi Entscheidungen treffen, motiviert ihr Leben gestalten und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen können. Und ich finde es so so wichtig, was er zu sagen hat.

Darum geht´s in Gebt den Kindern die Verantwortung zurück

 

Wenn gutmeinende  Eltern ihre kleinen Kinder auf Spielplätzen vor jedem Sturz bewahren wollen, wenn sie Schulkinder zur Schule gondeln und Abiturienten zur Immatrikulation begleiten, dann leisten sie ihnen keinen Gefallen. Der Lehrer Felix Nattermann beobachtet, die viele Jungen und Mädchen zu wenig Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit entwickeln. Er sieht, dass es ihnen an Situationen mangelt, in denen sie wachsen können.

Denn die Schüler sind entweder in der Schule, zu Hause vor dem TV oder Computer oder in Vereinen. Überall nur Aufsicht und Programm. Dies führt dazu, dass aus unsicheren Kindern unreife Erwachsene werden, die keine Entscheidung treffen können – weil sie es nie gelernt haben. Nattermann plädiert, die Kinder frühzeitig loszulassen und darauf zu vertrauen, dass sie die Herausforderungen altersgerecht bewältigen werden. Er gibt zahlreiche Beispiele, wie man seinem Kind mehr Verantwortung überlassen kann.

Um für die Zukunft fit zu sein, brauchen wir Menschen, die Dinge verändern, eigenständig denken und handeln. Stattdessen züchten wir uns eine Generation ohne Leidenschaft heran. Die heutigen Kinder werden zu menschen, die sich nichts zutrauen und ihrem Job nachgehen, ohne für etwas zu brennen. – Seite 15

Gebt den Kindern die Verantwortung zurück - Ein Lehrer über Selbstvertrauen, Eigenständigkeit und Aufgaben, die Kinder selbst lösen sollten

Harte Worte, die wachrütteln – Tipps, die Rat geben

 

Ich muss sagen, dass ich – je älter meine Kinder werden – mehr dazu übergehe, ihnen eine Kindheit zu ermöglichen, die ich auch hatte. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit vier Jahren bereits „um die vier Ecken gehen durfte“, um auf der Straße andere Kinder zu treffen. Wie ich später mit meinen Freunden ins Feld zog und dort ganze Nachmittage verbrachte. Ganz ohne elterliches Überwachungsprogramm. Ich machte meine Hausaufgaben alleine – außer ich verzweifelte oder wollte vor Arbeiten Diktate üben. Später habe ich mir selbst Nebenjobs gesucht, um mich zu finanzieren, und war in schulischen und beruflichen Dingen immer von mir selbst angetrieben.

Ich war frei – und trotzdem wusste ich, dass ich auf meine Eltern zählen kann, wenn es darauf ankommt. Ich will jetzt gar nicht sagen, dass alles perfekt war. In vielen Dingen war ich ziemlich unselbständig – beispielsweise musste ich nie im Haushalt helfen und bekam meine Pausenstulle bis in die Unizeit geschmiert. Öhm. Doch wenn ich heute manche Jugendlichen oder Studenten beobachte, die Praktika bei meiner Arbeit oder der meines Mannes machen, dann fehlt hier Eigeninitiative. Man muss oft jede Aufgabe haarklein vorher absprechen, damit sie erfüllt wird. Wie bei dressierten Äffchen. Und lässt man kreative Freiräume, so artet dass in Panik und Überforderung aus. Diese Kids haben nie gelernt, ihr Leben zu gestalten, statt es nur zu konsumieren oder das zu tun, was einem gesagt wurde.

Wir leben in einer Kultur, in der es verpönt ist, Fehler zu machen, weshalb wir uns alle davor fürchten. Das ist Unsinn. Denn wir lernen durch Fehler. – Seite 18

Beim Lesen von Gebt den Kindern die Verantwortung zurück kam ich aus dem Nicken nicht heraus. Eine gute Ergänzung zu meinen Lieblingsbüchern „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn“ (Teil I und II). Auch wenn Felix Nattermanns Worte manchmal echt hart sind, hat er meine Meinung getroffen. Und auch mir in der ein oder anderen Situation einen Spiegel vorgehalten. Denn er hat gute Argumente gegen elterliche Anrufe auf Klassenfahrten, Kindersucharmbändern und einen allzu durchgetakteten Alltag.

Gebt den Kindern die Verantwortung zurück - Ein Lehrer über Selbstvertrauen, Eigenständigkeit und Aufgaben, die Kinder selbst lösen sollten

Wie man Kindern mehr Selbstvertrauen schenkt

 

Nattermann beschreibt in Gebt den Kindern die Verantwortung zurück, wie er als Lehrer den Kindern Verantwortung überträgt. Seine Schüler gestalten ihren Informatik-Unterricht als Coaches für die Anfänger – sie lernen sich zu organisieren und sich selbst mit Problemen durch zu beißen. Dazu gibt es an Nattermanns Schule einen mehrtägige Wanderung – einen Haik – für dessen Erfolg die Schüler selbst verantwortlich sind. Die Teenies schreiben Sponsoren an, planen die Route und buchen Unterkünfte und Züge. Diese Ideen finde ich einfach toll. Und lassen sich auch auf das elterliche Umfeld übertragen.

Das Leben gibt es nicht ohne Risiko. Und die beste Art, unsere Kinder darauf vorzubereiten, ist, sie möglichst oft hinaus in die Welt zu schicken, damit sie eigene Erfahrungen sammeln können. Alles andere macht sie unselbständig und uns von anderen abhängig. – Seite 53

Den Kindern einen Radius in der Nachbarschaft zuweisen, in dem sie sich selbst frei bewegen dürfen oder sie alleine den Schulweg bewältigen lassen sind die ersten Schritte, um uns als Eltern und Problemlöser überflüssig zu machen. Auch alleine Aufgaben erfüllen lassen, gehören zu Nattermanns Tipps. Dabei meint er aber nicht, dass man „Spülmäschine ausräumen“ oder „Zimmer aufräumen“ diktiert – diese Aufgaben zählen sich auf das Konto Vertrauen aus. Vielmehr meint er damit, dass man Verantwortungen überträgt, zum Beispiel für das Wochenendfrühstück. Die Kinder können dann selbst entscheiden, ob sie zum Bäcker gehen, um Brötchen holen, mit den Sachen aus dem Kühlschrank etwas zaubern oder ein auswärts Essen mit einem bestimmten Budget planen.

Die Kinder lernen selbst Entscheidungen zu treffe. Erfolgserlebnisse machen sie stolz. Es regt ihre Kreativität an und motiviert für die Lösung späterer Probleme. Und dazu müssen wir als Eltern einiges leisten, was gar nicht so einfach ist. Zum einen, dass es nicht schlimm ist, wenn mal nicht alles – wie der Frühstückstisch – perfekt ist.

Kindern Vertrauen und Verantwortung schenken

 

  • Ängste beiseite schieben und weniger behüten
  • Vertrauen schenken und nicht überall helfen
  • Kinder auch mal bewusst überfordern und Probleme alleine lösen lassen
  • Kinder stärken und Erfolgsmomente schaffen
  • Verantwortung schenken und Aufgaben ohne Lösungsvorschläge übertragen

Ich kann nur sagen, Danke Felix für dieses Buch und die Anregungen. Danke, für den steifen Nacken, den ich vom permanenten Nicken hatte. Danke dafür, dass ich selbst über meinen Schatten gesprungen bin und meinen Kindern immer mehr Freiräume schenke, die ihnen so gut tun.

Gebt den Kindern die Verantwortung zurück - Ein Lehrer über Selbstvertrauen, Eigenständigkeit und Aufgaben, die Kinder selbst lösen sollten

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 Autor: Felix Nattermann
 Verlag: Knaur Verlag
 ISBN: 978-3426214411
 Seiten: 272 Seiten
 Preis: 18,- €

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