Sind Jungs wirklich so anders wie Mädchen? Ja, vielleicht. Vielleicht sind sie im Durchschnitt etwas lauter und vielleicht rangeln sie auch eher. Und die Interessen sind mit zunehmendem Alter unterschiedlich. Aber verlieren Jungs gleich ihre männliche Identität, wenn sie im Kindergarten basteln oder malen?
So suggeriert jedenfalls der Artikel aus der ELTERN family „Wie erzieht man heute einen Jungen?“ Von den Jungen als heutige Bildungsverlierer ist da die Rede. Von Vätern als Mütter-Imitat, weiblichen Mustern, die in der Erziehung vorherrschen, und dass es nicht gut tue, wenn die Jungen „sich zu viel an Frauen und Mädchen orientieren“. In einigen Punkten stimme ich vielleicht zu, aber als Jungsmama kann ich das echt nicht auf mir sitzen lassen.
Auch Mädchen brauchen männliche Vorbilder
Wie der im Bericht zitierte Bildungsforscher Klaus Hurrelmann (den ich einmal sogar persönlich getroffen habe) feststellt, haben Jungs teilweise bis über die Grundschule hinaus ausschließlich mit weiblichen Erzieherinnen und Lehrerinnen zu tun. Und ja, wenn sich dann noch der Vater rar macht, fehlt das männliche Vorbild auch ganz. Das stimmt sicherlich. Klar fände ich es auch toll, wenn es mehr Erzieher und Lehrer gäbe. Und ich meine jetzt nicht so schlaffi Pädagogen, die alles ausdiskutieren wollen und die schrullig und verklemmt in ihren Cordhosen Kirchenlieder klampfen. Sowas finde ich by the way auch bei Frauen ziemlich uncool.
Aber – das sind ja auch nur wieder so Vorurteile. Männliche Erzieher gleich Schlaffi. BÄM. Bestenfalls. Oder verkappter Kinderschänder. Ein Klischee, das den ein oder anderen jungen Mann sicherlich bei der Berufsentscheidung abschreckt. Doch der Umbruch kommt, da bin ich mir sicher. Und er käme noch schneller, wenn man vom Gehalt in sozialen Berufen auch eine Familie satt bekäme. Aber gut, wieder ne andere Baustelle. Worauf ich hinaus will: Männliche Vorbilder sind wichtig, nicht nur für Jungs. Egal ob diese männlichen Bezugspersonen nun Plätzchen backen, Stöcke schnitzen, mit einem malen oder Ball spielen. Es zeigt, dass wir Menschen unterschiedliche Interessen, Bedürfnisse und Talente haben.
Aber auch wenn nun nur Erzieherinnen oder Lehrerinnen im Alltag vorhanden sind, wird ein Junge ja nicht gleich „gestört“, nur weil er malt und bastelt? Was sollen sie denn sonst im Kindergarten machen? Automotoren auseinanderschauben, Bier trinken und sich am Sack kratzen, oder was? Das im Text implizierte Verbot zu rangeln, (Fuß)Ball zu spielen oder „wild“ zu sein, konnte ich bisher jedenfalls in unserem Umfeld nicht feststellen.
In der Regel sind in unserem Kindergarten die Erzieherinnen sehr cool mit den „wilden Jungstrieben“ umgegangen. Die geschulte Erzieherin weiß mittlerweile auch, dass das bei Jungen dazugehört. Abgesehen davon bin ich echt dankbar, dass im Kindergarten so viel gebastelt wird. Denn da fahren meine Söhne total drauf ab, während ich dazu eigentlich keine große Lust verspüre.
Väter im Schattendasein der Mütter
Was zu einem weiteren Punkt kommt, der mich echt ärgert. Die Bezeichnung der Väter als Mütter-Imitat. Der Autor spricht davon, dass es als Vater nicht leicht sei „sich nicht an die Mutter anzupassen, wenn sie die Agenda setzt, Männer nicht mehr so sein sollen, wie sie mal waren“. Ihr wisst schon, dieses „Männer dürfen keine Männer mehr sein“. Der Autor möchte vor allem, dass seine Söhne wissen, dass sie mit ihm anders umgehen können als mit der Mutter. Weil er im Gegensatz zu ihr rülpsen cool findet, einen raueren Umgangston pflegt und auch mal über die sexistischen Witze seiner Kinder lacht. Har har, eben voll männlich.
Ich frag mich hier so viele Dinge – warum man sich als Elternpaar in solche Rollenklischees reinzwängen muss? Warum wird so rumgejaunert, dass sich „alle“ Männer auf einmal an Frauen anpassen müssen? Und warum geht der Autor davon aus, dass alle Mütter humorlose Handarbeiterinnen sind, die zwar Stickereien – ja klar, weil Frauending -, aber nicht die erste Kackwurst im Klo loben?
Nicht jede Mama ist eine Klischee-Frau, die stickt
Ich glaube nicht, dass ich die einzige Frau bin, die Würmer und Käfer cool findet, Computerspiele mag oder auch mal „Scheiße“ sagt. Die die Jungs brüllen, rennen und raufen lässt, selbst mal „wild“ ist und dann wieder „kuschelig“. Hey, und heutzutage können wir Frauen sogar Ikea-Regale zusammenbauen. Echt jetzt!
Sicherlich hat mein Mann als Vater einen etwas anderen Bezug zu unseren Jungs wie ich als Mutter. Immerhin kennt er sich mit Dödelproblemen besser aus als ich. Aber ansonsten liegt es auch an den unterschiedlichen Interessen unserer Jungs, die wir gemeinsam unterstützen. Und zwar jeder wie er kann. Während ich eher Lego baue, Käfer betrachte und vorlese, kocht der Papa mit den Jungs und schaut mit ihnen Musikvideos.
Und das ist doch eigentlich auch das warum es geht, oder? Dass Kinder nicht mehr den „Mann“ und die „Frau“ als Vorbild haben, sondern erleben, dass jeder Mensch anders ist. Dass Männer genauso „weiche“ Seiten haben wie Frauen „wilde“. Und wer dann nun der Bestimmer beim Kochen, Putzen, Aufräumen, Zocken, Auto waschen oder Möbel aufbauen ist, ist dann auch wurscht, solange sich niemand total verstellen muss.
Seid frech, wild und wunderbar
Vielleicht hat der Autor des besagten Textes ja mit Gegenwind gerechnet. Von emanzipierten Müttern, die sich darüber aufregen, dass man als Mann empfindet, man dürfe nicht mehr männlich sein. Aber darum geht es mir gar nicht. Das kann sicherlich im Alltag des Autors wirklich so sein und sollte ernst genommen werden. Aber es ist nicht allgemeingültig.
Mich nervt diese Jammerei und der unterschwellige Vorwurf, dass Frauen alle gleich sind. Eben keine „Männerversteherinnen“. Und quasi die Schuld daran tragen, dass männliche Vorbilder auf dem Weg zum groß werden unserer Kinder fehlen!
Aber sich hinzusetzen und zu schmollen ist eben immer einfacher.
Liebe Papas: Kümmert euch doch um eure Kinder, wenn ihr getrennt lebt. Schult um zu Erziehern und Lehrern. Macht euch stark für eine bessere Bezahlung in Sozialberufen. Werdet Trainer im Verein. Tut euch mit anderen Papas zusammen, um etwas mit den Kindern zu unternehmen. Und vor allem: zeigt euren Söhnen, dass soziale Berufe erfüllender sind als das schnelle Geld in der Bankenbranche!
Vor einigen Tagen wurde übrigens der Rabauke im Kindergarten gefragt, wer denn seine tolle Hose genäht habe. „Der Papa! Mit dem Schraubenzieher.“ Alles richtig gemacht, würde ich sagen.